Leider kein Freispruch !!!
Der zweite Verhandlungstag der Berufungsverhandlung, gegen eine unserer Mitarbeiterinnen, nach einem brutalen Polizeieinsatz am AZ im Juni 2019, nahm am 16.08.21 leider kein gutes Ende für die Angeklagte. Das Landgericht Duisburg verurteilte sie zu 90 Tagessätzen wegen eines angeblichen tätlichen Angriffs auf einen Polizeipraktikanten. Dieser hatte in der Berufungsverhandlung behauptet, er sei von unserer Kollegin geschubst worden. Das habe er zwar kaum gespürt und gesehen hatte es außer ihm auch niemand. Im Gegenteil sagte ein anderer Zeuge aus, dass unsere Mitarbeiterin von ihm zu Boden gerissen wurde. Dem schenkte die Richterin aber keine Beachtung, weil er ja eventuell im entscheidenden Moment gerade woanders hin geguckt haben könnte. Das klingt alles absurd und das Urteil ist natürlich ein Skandal! Leider ist es aber auch das Ergebnis einer gezielten gemeinsamen Strategie von Polizei und Staatsanwaltschaft, die sich bereits durch die gesamte Dauer der Verfahren zieht.
Also nochmal kurz zum Anfang: Im Juni 2019 kam es zu dem Polizeieinsatz am AZ, bei dem zwei unserer Mitarbeiter*innen verletzt und in Gewahrsam genommen wurden. Nachdem beide die Polizeigewalt öffentlich thematisierten, kreierte die Polizei eine Geschichte, die die Vorwürfe unserer Mitarbeiter*innen umdrehte und ihnen Widerstandshandlungen gegen eine angeblich legitime Polizeimaßnahme unterstellte. Beide erhielten in der Folge Strafbefehle über mehrere tausend Euro. Denen wurde natürlich widersprochen und das Ganze ging zur Hauptverhandlung ans Amtsgericht Mülheim. Dort präsentierten die aussagenden Polizist*innen ihre Version der Geschehnisse so: Die beiden seien Zeug*innen einer vermeintlichen Straftat gewesen (obwohl sie bereits angegeben hatten nichts dergleichen beobachtet zu haben) und hätten deshalb ihre Personalien angeben müssen. Als sie die Herausgabe verweigerten, habe man sie sich unter Zwang holen müssen. Dummerweise hatten die Beamt*innen im Rechtskundeunterricht nicht so gut aufgepasst und wussten offenbar auch ein Jahr nach dem Vorfall noch nicht, dass man Zeug*innen – im Gegensatz zu Beschuldigten – nach Strafprozessordnung gar nicht gegen ihren Willen unter Zwang auf ihre Personalien durchsuchen darf. Dieser durch die Verteidigung eingebrachte Einwand überraschte nun auch die Staatsanwaltschaft. Sie musste hinnehmen, dass die ganze Maßnahme somit rechtswidrig war und forderte schließlich selbst den Freispruch für unsere nun verurteilte Kollegin. Im Fall des anderen Mitarbeiters, der durch die rechtswidrige „Kontrolle“ so schwer verletzt wurde, dass er direkt per Rettungswagen ins Krankenhaus transportiert und dort u.a. genäht werden musste, klammerte sie sich an den Verurteilungswillen der nun durch angeblich erfolgte Beleidigungen zu rechtfertigen wäre. Die Richterin sprach schließlich die Kollegin frei und setzte das Verfahren gegen unseren Mitarbeiter erstmal aus.
Doch auch damit war die Geschichte leider noch lange nicht vorbei, denn vermutlich dämmerten auch Polizei und Staatsanwaltschaft, dass das Anerkennen einer rechtswidrigen Maßnahme durchaus Folgen für die eingesetzten Beamt*innen haben könnte. Schließlich hatten sie unsere Mitarbeiter*innen nicht unerheblich verletzt, ihnen unter Zwang und gegen ihren erklärten Willen Blut abnehmen lassen, sie diverse Stunden ihrer Freiheit beraubt, sie erkennungsdienstlich behandeln lassen und auch sonst noch diversen sexistischen und rechten Schikanen unterzogen. Beide hatten folglich im Anschluss an den Freispruch die am Einsatz beteiligten Polizist*innen wegen Körperverletzung im Amt angezeigt.
Also ging die Staatsanwaltschaft in Berufung, die sie nun mit einem Paragrafen aus dem Ordnungswidrigkeitengesetz begründete, nach dem die beiden zur Herausgabe ihrer Personalien verpflichtet gewesen sein sollten. Dieser lahmen Begründung, die vor dem Amtsgericht auch nicht einmal zur Sprache gekommen war, schien das Landgericht Duisburg im Berufungsverfahren allerdings erstmal nicht folgen zu wollen. Dennoch sagten alle dazu befragten Polizeizeug*innen unisono aus, man habe unsere Mitarbeiter*innen bezüglich der Ordnungswidrigkeit belehrt und veränderten somit teilweise ihre bereits am Amtsgericht gemachten Aussagen. Dabei gaben einige freimütig zu Protokoll, dass sie sich im Vorfeld ihrer Aussagen mit den betreffenden Kolleg*innen abgesprochen hatten. Es wäre also spätestens an dieser Stelle nicht allzu schwer gewesen, an der grundsätzlichen Glaubwürdigkeit der Polizei-Zeug*innen zu zweifeln. Dem aber nicht genug, trat nun zusätzlich der Polizeipraktikant auf den Plan und frisierte die Geschichte nochmal in eine ganz neue Richtung. Man habe unsere Mitarbeiterin gar nicht auf ihre Personalien kontrollieren wollen (das wäre ja rechtswidrig gewesen), sondern sie nur, als sie sich auf den bereits blutend und gefesselt am Boden liegenden Kollegen zubewegen wollte, in ein Gespräch verwickeln wollen, damit sie die polizeiliche Maßnahme gegen diesen (welchen Zweck auch immer die genau erfüllen sollte, denn auf seine Personalien durchsuchen durfte man ihn ja nicht) nicht stören könnte. Dies sei übliche Polizeitaktik. Dabei sei nun der Praktikant leicht geschubst worden, was dieser wie er angab zwar kaum wahrgenommen habe, aber dennoch handele es sich hier um einen tätlichen Angriff.
Das Polizei und Staatsanwaltschaft mit dieser frei erfundenen Geschichte erst zwei Jahre nach dem Vorfall rauskamen, als sie ihre juristischen Felle langsam endgültig davonschwimmen sahen, zeigt wie eng diese beiden vorgeblich unabhängigen Behörden in solchen Fällen zusammenarbeiten. Mit an Arroganz grenzender Selbstsicherheit werden Tatsachen vor Gericht verdreht, Aussagen abgesprochen, die Kolleg*innen gedeckt und die Polizei-Zeug*innen von der Staatsanwaltschaft auf die „korrekten“ Aussagen eingestellt. Dass sie damit nun beim Duisburger Landgericht auch noch durchgekommen sind, macht die Sache leider nicht besser. Tatsächlich wird sie nun in einem Berufungsverfahren für einen vermeintlichen Straftatbestand verurteilt, der in dem zugrunde liegenden Amtsgerichtsverfahren nicht einmal ein Punkt in der Anklage war. Dort hießen die Anklagepunkte Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Beleidigung. Von einem tätlichen Angriff war keine Rede. In der Praxis wird die Verurteilte damit leider auch noch einer eigenen Berufungsinstanz beraubt. Da nun schon am Landgericht geurteilt wurde bleibt ihr nur noch das Rechtsmittel der Revision.
Tatsächlich fällt es uns schwer, bei so vielen offensichtlichen Widersprüchen und Ungereimtheiten in diesem Verfahren, das nun trotzdem zur Verurteilung unserer Kollegin führt, die offensichtlich in Ausübung ihrer Tätigkeit bei einem Kneipenabend im AZ den „Fehler“ begangen hat, „freiwillig“ mit der Polizei zu sprechen, nicht zynisch zu werden. Nur ist diese juristische Farce in bislang drei Akten (wir werden sehen wie viele weitere noch hinzukommen) leider überhaupt kein Einzelfall. Fast grundsätzlich werden Menschen, die Polizeigewalt erfahren und diese im Anschluss öffentlich thematisieren, mit Gegenanzeigen wegen angeblichen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte konfrontiert. Das soll der Einschüchterung der Betroffenen dienen und die gewalttätigen Beamt*innen aus der Schusslinie nehmen. Wir wollen uns aber nicht weiter einschüchtern lassen und unterstützen deshalb auch weiterhin unsere beiden im Juni 2019 von Polizeigewalt betroffenen Mitarbeiter*innen bei allen juristischen und öffentlichen Schritten. Solange die Verfahren laufen wird es weiter Solidaritätskundgebungen vor und eine kritische Prozessbeobachtung in den Gerichten geben. Und natürlich werden wir die Absurditäten dieser Verfahren auch weiterhin öffentlich machen.
Gegen Polizeigewalt und Repression!
AZ Mülheim, August 2021