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"Ich weiß nicht, wie die sich das vorstellen:
daß wir hier einfach so rausgehen?"Gespräch mit den Mitbegründern des Mülheimer 'Autonomen Zentrum' Wiebke Jaax, Peter Possekel und Sabrina Strehl
Wie kam es zur Gründung des AZ in Mülheim? Bekannt ist mir nur, daß ihr im Vorfeld ein Gebäude besetzt habt, aber wie war die ganze Vorgeschichte?Peter Possekel: 1989 gründete sich, nach vielen Versuchen zuvor, eine neue Initiative Mülheimer Jugendlicher, die Defizite in der Jugendkultur gesehen haben, um ein 'selbstverwaltetes', 'autonomes' oder wie immer genanntes Jugendkulturzentrum zu fordern. Diese Forderung war nicht neu und betrifft ja auch nicht nur die Stadt Mülheim, bezeichnend ist nur, daß es hier 30 Jahre gedauert hat, bis sie realisiert werden konnte.
Begonnen hat diese Initiative damit, die Gründe für ihre Forderungen in Zeitungen und bei öffentlichen Gelegenheiten vorzutragen. Danach gab es bis 1993 Gespräche mit Politikern und mit anderen Vereinen. Alle Gesprächspartner signalisierten immer wieder: ein gutes Anliegen, hervorragend, aber was uns fehlt, ist das Geld und v.a. ein Gebäude. Die SPD schlug der Initiative dann vor, einen Verein zu gründen, doch als sie das getan hat, hieß es nur: schön, aber es ist immer noch kein Geld da. Allmählich fühlten sich die Leute verarscht.
Dann passierte etwas Entscheidendes: bei der Kommunalwahl wurde die SPD abgewählt und die Grünen haben mit der CDU zusammen eine Koalition gebildet. In ihrem ersten 10 Punkte-Programm übernahm die neue Stadtregierung die Forderung nach einem selbstverwalteten Kulturzentrum, zusätzlich zum städtischen Kulturzentrum 'Ringlokschuppen'. Den Ringlokschuppen hat sie sofort realisiert, das AZ erst einmal nicht. Die Initiative antwortete darauf mit mehreren öffentlichkeitswirksamen Aktionen, wie z.B. einem Punkkonzert Samstags Mittags in der Innenstadt, aber bald lag auch in der Luft, daß wir eine Hausbesetzung machen müßten.
Wir sind also ins kalte Wasser gesprungen und in die alte Lederfabrik Rühl gezogen, um dort wenigstens mal für 1 Woche ein solches Zentrum im vollen Betrieb umzusetzen. Wir haben dieses Gebäude besetzt und dort jeden Tag ein Programm veranstaltet. Das fanden wir so schön, daß wir länger geblieben sind. Nach einem halben Jahr waren aber unsere Kräfte langsam erschöpft, denn zwar wurde unsere Forderung von der Politik offiziell noch immer anerkannt, aber aus dem von uns ausgesuchten Gebäude sollten wir unbedingt wieder verschwinden. Eine verständliche Erklärung dafür gab es nicht und auch sonst keine praktische Unterstützung.
Nachdem es einen Ratsbeschluß gegeben hatte, der die Einrichtung eines selbstverwalteten Jugendzentrums zur offiziellen politischen Aufgabe machte, hatten wir viele Gespräche mit dem zuständigen Dezernenten Hans Theo Horn, denn eines stand fest: in der Rühl durften wir nicht bleiben. Wir haben uns also zusammen mehrere Gebäude angesehen, und das einzige, das wirklich in Frage kam, war die alte, heruntergekommene Reithalle. Die anderen Vorschläge waren kaum ernst zu nehmen: der Keller der Jugendherberge Kahlenberg (noch der seriöseste Vorschlag) oder 1/5 einer riesigen Halle auf dem Gelände der Betriebe der Stadt Mülheim. Wie auf diesem Gelände, das man gar nicht betreten darf, ein Jugendkulturbetrieb umzusetzen wäre, konnte uns niemand erklären. 'Da müßt ihr dann mal gucken ...' Die totale Verarschung.
Also blieb die Alte Reithalle, obwohl die nicht nur total marode, sondern eigentlich auch viel zu groß für uns war. Viele Politiker hatten sich das Folgende dann wohl anders vorgestellt. Vor 20 Jahren gab es mal einen ähnlichen Versuch in der alten Malzfabrik, einem genauso schrottigen Gebäude, in das die Initiatoren mit Hilfe privater Unterstützer zigtausend Mark gesteckt und sich kaputt gearbeitet haben, wobei alle wußten: das schaffen die höchstens ein halbes Jahr. Sie haben ein ganzes Jahr durchgehalten, ehe sie hochverschuldet aufgegeben haben. So haben sich Viele das wohl auch diesmal ausgedacht, aber das Neue und für uns Gute war die Besetzung des Baudezernats mit der Grünen Politikerin Helga Sander. Sie hat, nachdem der Rat den Beschluß gefaßt hatte, uns in der Reithalle einen Versuch starten zu lassen, die IBA Emscherpark als möglichen Förderer in das Projekt einbezogen. Durch diese Verbindung war eine wirkliche Renovierung des Gebäudes überhaupt erst möglich, für das die IBA 2,5 Mio. DM bereitgestellt hat.
Für den Umbau des Gebäudes, aber das war doch politisch verknüpft mit eurem Vohaben?
Wiebke Jaax: Es war sogar eine Bedingung der IBA, daß der Rat der Stadt ein Konzept mit uns verabschiedet und unsere Jugendkulturarbeit fördern wird.
Peter: Für die IBA war auch unser inhaltliches Konzept wichtig. Für die Stadt weniger, die wollten nur irgendeine inhaltliche Festlegung von uns. Aber in diese Festlegung hat wiederum die IBA mit ihren Vorstellungen von innovativer Arbeit hineingefunkt, und da mußten wir austesten, wo unsere Grenzen sind und Kompromisse eingehen, denn unser Anspruch war nicht derselbe wie ihrer.
Wiebke: Das betraf auch die Baumaßnahmen, denn viele von uns meinten, die Halle sei viel zu groß, wir müßten in eine Hälfte etwas hinein bauen, um viele einzelne Räume zu haben, Gruppenräume, Werkstätten etc.. Schon vor der Mitwirkung der IBA gab es dafür ein konkretes bauliches Konzept nach dem Vorbild eines Containerprojektes in Holland. Doch für die IBA war klar: die Halle muß bleiben, wie sie ist.
Wer hat sich denn an der Besetzung der Rühl beteiligt? Mir war nicht bekannt, daß diese Aktion schon mit der Forderung nach einem autonomen Jugendzentrum fest verwoben war.
Wiebke: Die Bewegung gibt es seit dreißig Jahren. Die erste Besetzung war die Paulikirche auf dem Berliner Platz. Die hat noch Thomas Schroer, der letzte SPD-Oberbürgermeisterkandidat, mitbesetzt und auf dem Altar gekifft, wie er bis heute gerne erzählt. Danach gab es die Malzfabrik, den Löwenhof und den Kassenberg - die bisher längste und effektivste Besetzung. Dort gab es Proberäume, Kino, Konzerte etc., bis der Ort irgendwann wegen 'baulichen Mängeln' geschlossen wurde. Alle diese Aktionen waren Teil der selben bzw. immer wieder erneuerten Initiative. Das ging immer so lange gut, bis die aktiven Leute entnervt oder ausgepowert waren. Aber immer wieder haben auch neue Leute angefangen. Und unsere Initiative, die sich ein paar Jahre nach dem Ende der Kassenberg-Besetzung gegründet hat, ist die letzte in dieser Reihe.
Und immer stand die Forderung nach einem selbstverwalteten Jugendzentrum im Mittelpunkt?
Wiebke: Ja. Ein paar von den alten Leuten dieser Kette von Initiativen machen jetzt den Ringlockschuppen. Die haben irgendwann ihr Konzept 'ein bißchen geändert' - man kann sich ja jetzt angucken, was daraus geworden ist.
War für alle Beteiligten an der Besetzung der Rühl diese Forderung zentral? Es gibt ja auch genügend andere Gründe - Einnahme vorhandenen Wohnraums, Kampf gegen spekulativen Leerstand etc. - für eine Hausbesetzung.
Wiebke: Ausgangspunkt war die Initiative, aber sicher sind zum Zeitpunkt der Besetzung viele andere Menschen dazugekommen.
Sabrina Strehl: Vor der Besetzung gab es eine Demo, wo sich viele neue Leute der Initiative angeschlossen haben, die gar nicht wußten, worum es genau ging, die sich zuvor kaum oder gar nicht mit den Zielen der Initiative beschäftigt haben. Auch ich bin erst 2 Monate vor der Rühl-Besetzung, nachdem ich auf einem Konzert Infomaterial erhalten hatte, in die Initiative eingetreten und kam dann direkt in die konkreten Vorbereitungen zu dieser Aktion. Und Vielen ist es am Tag der Besetzung so gegangen, wie mir kurz zuvor, denn der Wunsch nach einem eigenen Zentrum oder auch nur danach, überhaupt etwas eigenes zu machen, ist bei vielen jungen Menschen in Mülheim vorhanden. Aber diejenigen, die sich wirklich mit der Sache auseinandergesetzt haben, die ihre Forderungen genau entwickelt und sich dahinter geklemmt haben, sie dann auch durchzusetzen, waren nicht sehr viele, höchstens 20.
Wiebke: Viele der Älteren in unserer Initiative haben sich vorher in Oberhausen engagiert, erst im K14, und dann, als die dort rausgeflogen sind, als K14-Exil im Druckluft. Die haben v.a. Discos veranstaltet, aber es war auch ein Versuch, sich an einem etablierten Zentrum mit eigenen Ideen zu beteiligen. Viele dieser Leute waren Mülheimer, die nach dem Ende des Kassenbergs, als es in Mülheim keinen entsprechenden Ort mehr gab, in die Nachbarstadt gegangen sind. Diese Leute gehörten zu denen, die schon konkrete Vorstellungen besaßen, wie ein solches Zentrum aussehen könnte und die Initiative deswegen stark gepusht haben. Mit der Besetzung aber kamen neue dazu, und dann gab es natürlich viele unterschiedliche Meinungen. Ein paar Leute wollten so etwas wie das Druckluft haben, also ziemlich klassisch: Bandprobenräume, eine Kneipe, Discos, Gruppenräume, politische Veranstaltungen, Sozialberatung etc. Aber mit der Besetzung kamen auch Menschen in die Initiative, die unter einem autonomen Zentrum nicht nur 'selbstverwaltet' verstanden haben, sondern wirklich autonom. Wobei auch hier die Vorstellungen bis heute auseinanderklaffen, was mit diesem Begriff genau verbunden wird: ob man z.B. Geld annimmt oder nicht, welche Dinge in einem solchen Zentrum stattfinden sollen und welche auf keinen Fall.
Peter: Auf jeden Fall kam durch die Besetzung eine Radikalisierung in das Projekt. Die Initiative hat sich ja jahrelang getroffen und sich geäußert: in Form von Flugblättern, in Zeitungen etc.. Doch dann gab es die Demonstration, von der sich in der Szene herumgesprochen hatte, daß es in ihrem Anschluß zu einer Besetzung kommen würde - auf dem Flyer stand: anschließend Party, und da war schon klar, was los ist. So kamen viele Leute zu dieser Demo, die an den Vorbereitungstreffen der Initiative nicht beteiligt waren. Das haben wir auch so gewollt, wir haben den Termin bewußt an den Beginn der Osterferien gelegt, weil wir wußten, daß dort viele Leute Zeit haben werden, in drei Wochen das Gebäude mit in Schuß zu bringen. Das war dann auch der Fall: viele Kids waren begeistert über so schöne Osterferien.
Am nächsten Tag sah man in der Zeitung eine schwarzrote Fahne über der Rühl hängen. Das symbolisierte etwas, das war nicht mehr nur die Intitative, die auf die Straße geht und um Räume bittet für kulturelle und politische Veranstaltungen. Es setzt einen anderen Rahmen, hinzugehen und zu sagen: dieses Gebäude ist besetzt - und darüber hängt eine Anarchiefahne.
Ich bin ja sehr beeindruckt von der Urkunde, die ihr vom paritätischen Jugedwerk erhalten habt. Wenn ich jetzt verstanden habe, daß diese Besetzung unter dem Vorzeichen stand: wir fordern ein Jugendkulturzentrum und fangen schon mal an damit, und das kongruierte mit der parteipolitischen Forderung der regierenden Koalition, ihr also nur umgesetzt habt, wozu die herrschende Politik nur zu träge war, dann ist für mich nun auch ein wenig verständlicher, daß dieser Handlung auch offiziell applaudiert wird - zumindest wenn es im nächsten Schritt gelingt, sie zu legalisieren, denn für die schwarzrote Fahne auf der Rühl hättet ihr dieses Zertifikat wohl nicht bekommen. Mich würde in diesem Zusammenhang interessieren, wie ihr dann, als ihr die Möglichkeit dazu erhalten habt, eurer Konzept umgesetzt habt. Habt ihr dabei auch Unterstützung erhalten?
Peter: Kaum, obwohl in den Gesprächen mit den verschiedenen Institutionen eines besonders auffällig war: ob es nun Vertreter der Landesregierung sind oder des paritätischen Jugedwerks oder Freiberufler, wie Andreas Bomheuer, der uns im Finanzkonzept unterstützt hat - das sind alles Leute, die diese Szene ab 1968 selbst miterlebt haben, die z.B. die Essener Zeche Carl mit gegründet haben, die Autonomiebewegungen und Kämpfe um selbstverwaltete Jugendkulturzentren kennen und darin aktiv waren. Und natürlich reden sie auch entsprechend mit uns: wir kennen das ja von früher, wir wollten das auch mal bzw. haben auch mal so etwas gemacht usw. und geben uns dann väterliche Tips: jetzt mal unter uns, wir kennen das ja ... Ob es nun darum geht, daß die Plenumsstruktur Schwachsinn sei oder auch nur die Frage der besten Schlüsselverteilung.
Habt ihr von diesen alten Kämpfern auch wertvolle Tips erhalten?
Peter: Das waren eher Schlaumeier: wir kennen das ja alles, und die Fehler, die wir begangen haben, müßt ihr ja nicht noch mal begehen. Ihr macht euch nur was vor, wenn ihr solche Strukturen haben wollt. Und wenn die jetzt noch funktionieren, brechen sie bald zusammen, das können wir euch jetzt schon sagen, das wissen wir aus Erfahrung etc.. Und man sieht es ja auch: die Entwicklung der Zeche Carl ging über 2 Jahrzehnte, der Ringlockschuppen hat sie in einem Jahr durchgemacht, im Schnellverfahren.
Diese wohlwollende Tip-Manie habt ihr ja auch von uns erfahren, als wir hier zu Gast waren. Alle wußten wir euch die Gefahren genau zu benennen, über die ihr ja in jahrelanger konkreter Arbeit bestimmt noch nie nachgedacht hattet. Ich vermute, daß euch das nicht nur mit uns passiert ist.
Peter: Ja, so etwas hört man ständig. Denn schlaue Tips haben alle auf Lager, ob sie nun eine Erfahrung haben oder nicht. Tips geben kannst du immer, und Ahnung hast du immer. Und es ist ja auch ein schönes Erlebnis, früh Mängel zu benennen und im Nachhinein sagen zu können: haben wir euch doch immer gesagt, hättet ihr mal von Anfang an auf uns gehört. Doch was hätte man besser machen können in der konkreten Situation? Davon hören wir selten. Aber es ist tatsächlich so: wenn dir immer wieder Leute von außen sagen: das und das und das geht so nicht, dann baut das irgendwann doch einen Druck auf. Nach einer Weile kannst du das nicht mehr abstreifen und nimmst es als Kritik ernst. Aber es hilft nicht wirklich weiter.
Anders ist uns Andreas Bomheuer begegnet. Er hat uns in einer sehr frühen Phase geholfen, als wir noch keine Ahnung von Finanzen hatten. Und er hat sich auch für unser inhaltliches Konzept interessiert. Von Anfang an hat er dazu gesagt: ich denke, daß ihr das so nicht machen solltet. Aber das werden euch wahrscheinlich alle sagen. Und wenn ihr meint, daß ihr so handeln müßt, dann solltet ihr das auch tun. Auch wenn ihr Fehler begehen wollt, kann ich euch zwar aus meiner Erfahrung warnen, aber ihr müßt das selber erleben; was ich euch sagen kann, wäre nur Schlaureden. Er war der festen Überzeugung: wenn du etwas ändern willst, mußt du selber auf die Schnauze fallen. Du kannst nicht einfach Ratschläge älterer Leute übernehmen. Du mußt es einmal selbst durchlebt haben und dann von dir aus sagen: das war Quatsch, das lassen wir jetzt. Ob das bei uns so kommen wird? Mal schauen. Vielleicht werden wir ja auch noch so ein etabliertes, schnödes Zentrum mit festen, hauptamtlichen Angestellten, die nichts mehr zu tun haben, außer die kids zu kontrollieren.
Daß bisher von einer solchen Entwicklung des AZ nichts zu merken ist - ist das ein Grund dafür, daß die Anerkennung für eure Initiative umschlug in teilweise fanatische Gegnerschaft, so daß ihr, verspätet, dasteht wie fundamentale politische Feinde und letztlich behandelt werdet wie illegale Hausbesetzer?
Peter: Das Umschlagen ist eine ganz einfache Geschichte. Die Junge Union war nie auf Parteikurs, die haben von Anfang an gesagt: das gibt's ja wohl nicht! Da vollziehen Leute illegale Handlungen, nehmen fremden Besitz einfach an sich, und das wird auch noch belohnt! Wo simma denn hier?! Wir dachten, das sei ein Rechtsstaat! Die waren richtig sauer und haben uns von Anfang an bekämpft, aber die CDU war ja in der für sie erbärmlichen Situation, mit den Grünen zu koalieren und hat sich, auch weil wir den entsprechenden Druck gemacht haben, auf unsere Sache eingelassen. Aber nach 5 Jahren war diese Koalition schon wieder vorbei, und alle haben daraus gelernt: es gibt keine Koalition mehr, es gibt nur noch wechselnde Mehrheiten in Mülheim, und jetzt können alle wieder ihr wahres Gesicht zeigen, voll und ganz. So wie Heiko Hendriks, der immer gesagt hat, daß er gegen uns ist, aber als Sprecher im Jugendhilfeausschuß für die Mülheimer CDU lange Zeit umsetzen mußte, was offizielle Parteimeinung war. Nach den Wahlen war dann klar: er kann, was er uns schon länger angekündigt hatte, den Widerständen in seiner Partei, zumal er selber einer der Widerstände ist, nicht mehr entgegenhandeln und war dann offen gegen uns. So einfach war das für ihn.
Wiebke: Und die JuLis sind mit dieser Wahl auch wieder aus ihrer Grabkiste aufgestanden, und viele junge Menschen, auch viele Schüler, rennen denen hinterher.
Peter: Das ist ja ein bundesweiter Trend, auch für die alte FDP. Ich hab geglaubt, die seien jetzt endlich mal erledigt, und auf einmal steht diese Partei wieder auf, in NRW mit dem Möllemann, und das haben wir dann auch in Mülheim gemerkt. Das Paradoxe ist dabei: wenn die FDP-Vertreter inhaltlich reden, sagen sie, was Jugendarbeit angeht, nichts anderes als wir. Aber wenn es dann um unser Projekt geht, sind sie komplett gegen uns. Sie sagen auch, daß die Jugendarbeit möglichst von den Jugendlichen selbst gestaltet werden soll, was unser Ansatz ist, und sie sagen, daß die Jugendlichen an den sie betreffenden politischen Entscheidungen partizipieren sollen, was unser Ansatz ist, aber sie sind gegen uns. Darin liegt keine Logik. Aber sie waren von Anfang an gegen uns: wir seien ein elitärer Haufen und würden Gelder für Jugendarbeit mißbrauchen. Sie sind sich also, wie die Junge Union, treu geblieben, nur sitzen sie nun wieder im Rat der Stadt und konnten so, zusammen mit der CDU, den entsprechenden Druck gegen uns aufbauen.
Ich vermute, daß dort doch irgendeine Logik drin steckt. Natürlich erscheint die Sache absolut antagonistisch: es kann ja nicht sein, daß eine Partei einerseits sagt, Jugendarbeit müsse selbstbeteiligt geschehen und zugleich gerade euch mit aller Kraft bekämpft, wo ihr - und niemand anders in dieser Stadt - mindestens diesen Punkt ihres Ansatzes einlöst, so daß sie zumindest eine Schnittmenge mit euren Zielen feststellen müßte. Und sie bekämpft ja auch nicht den Ringlokschuppen, weil er diesen Punkt nicht einlöst. Es muß noch eine andere Logik geben, die diesen mit sehr großem und auch sehr persönlichem Einsatz - auch von Jugendlichen - betriebenen Kampf nicht gänzlich erklärt, aber doch auf einer anderen Ebene verstehbar macht. Ich vermute, daß euer grundsätzlicher inhaltlicher Ansatz im absoluten Widerspruch steht nicht nur zu einem jeweiligen Parteiprogramm von Jungliberalen oder Junger Union, sondern zum Selbstverständnis von Menschen, die solche Parteien auch nur eines Blickes würdigen, und das sind die weitaus meisten Menschen unserer Gesellschaft. Von daher ist es vielleicht verkürzend, nur konkrete Gegner festzumachen, die es sicher gibt, genauso wie ihr ganz konkret seid, doch es transportiert sich mit eurem Kampf gegen diese Parteien und ihre Pappfiguren noch ein anderer Konflikt.
Peter: Wir sind Staatsfeinde. Wir stehen im Verfassungsschutzbericht, wegen der Besetzung der Lederfabrik Rühl. Von daher haben sich die FDP und die Junge Union überhaupt nicht gedreht. Nur die CDU hat dies getan. Früher haben Leute wie Johannes Brands auf ihre Jugendvertreter eingeredet und gesagt: macht doch da mit, wenn die dort Stein auf Stein setzen. Die sagen immer, sie seien offen für alle, dann könnt ihr euch doch auch daran beteiligen. Das haben sie aber nie gemacht.
Hättet ihr das denn zugelassen?
Peter: Wir haben nichts dagegen, wenn möglichst viele Leute hier mithelfen, und wenn es Widersprüche gegeben hätte, wäre auch das ganz normal unter Menschen. Wir haben nur ein Problem damit, und das fängt bei den Grünen an, wenn hier Parteipolitik betrieben wird. Wir haben eine politische Ausrichtung, die ist recht klar, aber die ist eben nicht parteipolitisch. Die einzigen, die damit noch in bißchen Glück haben, sind die Jungen Grünen, weil die einfach zu sehr in der Initiative mit drin stecken.
Parteipolitisch gibt es so viele Reibungspunkte, gerade mit der CDU, daß ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Aber grundsätzlich finde ich es sehr bezeichnend, daß alle Parteien, durch die Bank, in ihren Parteiprogrammen sagen: die Jugendlichen müssen beteiligt werden in politischen Entscheidungen, in den Jugendheimen etc., wir müssen auch mal nach deren Nase tanzen und ihnen nicht nur Programme vorgeben, und tatsächlich hat sich diesbezüglich in den letzten Jahrzehnten einiges getan. Aber wenn dann tatsächlich etwas in die Hand genommen wird - zumal es hier nicht um 7-14-jährige geht, sondern um die Lücke, die danach aufklafft, um Leute, die nicht mehr ins Jugendheim gehen, die ihr Leben bereits selbst in die Hand nehmen wollen -, das zu fördern, damit tun sich alle Parteien schwer.
Dafür gibt es m. E. einen Hauptgrund: die Angst vor dem Kontrollverlust. Du weißt dann nicht mehr, was da abgeht, du hast nicht mehr deine staatlich ausgebildeten Leute da drinnen sitzen, die ihre regelmäßigen Berichte abgeben. Natürlich werden auch wir dazu genötigt, Berichte abzugeben, weil wir staatlich gefördert werden, aber die haben einfach eine andere Qualität. Und das mißfällt nicht nur der CDU, sondern genauso des SPD, und das hat ihr auch vor 30 Jahren nicht gefallen. Gegen so etwas wird immer Front gemacht.
Trotzdem war die Wahl des neuen Rates für uns der Umschlag. Inder Wahlnacht hab ich mir noch gedacht: was soll schon passieren, doch am nächsten Tag haben uns die Grünen erst mal davor gestoßen, was das bedeutet: hallo, die FDP ist drin, schon gemerkt, was das heißen kann, was für neue Koalitionen jetzt möglich sind? Da sind wir überhaupt erst wach geworden und haben registriert, daß CDU und FDP zusammen knapp vor einer absoluten Mehrheit sind.
Wiebke: Ich glaube aber, daß der Angriff gegen uns auch bei anderen Mehrheiten stattgefunden hätte. Die haben uns erst einmal machen lassen, länger beobachtet, was hier stattfindet und dann langsam nach einem Aufhänger für ihre Aktion gesucht. Der erste öffentliche Aufhänger war die angebliche Umbenennung in 'Autonomes Zentrum'. Dabei haben wir von Anfang an und bewußt immer ein 'Selbstverwaltetes Zentrum' gefordert. Doch schon damals hat die CDU den von uns absichtlich gemiedenen Begriff v.a. in Presseäußerungen auf uns angewendet und ihn damit etabliert. Später erst und durch diese Etablierung mitbewirkt hat sich der Name und das Kürzel AZ generell eingebürgert, und auch wir haben ihn dann für unsere Programmzettel übernommen. Das war dann der Aufhänger für den Vorwurf, unsere Grundauffassung habe sich schlagartig geändert, wir seien zu einem autonomen Zentrum mutiert und hätten mit Jugend nichts mehr am Hut. Mit dieser 'Jugendarbeit'-Argumentation wurde dann versucht, uns zu diskreditieren.
Peter: Ich würde dir in der Vermutung widersprechen, die Mehrheitsverhältnisse im Rat seien nicht entscheidend. Denn in der SPD ist es so, daß die alte Riege absolut gegen uns ist, aber da tut sich was bei den Neuen. In der CDU war das genau andersherum. Dort war die alte Riege auf einmal für uns, für die war das so etwas wie Privatisierung. Man könnte ja andere Jugendheime zumachen, und wir mit unseren innovativen Ideen stehen für eine neue, weniger staatliche Form der Jugendarbeit. So haben sie es auch ihren Wählern verkauft: ein selbstverwaltetes Jugendkulturzentrum ist eine Privatisierung im Jugendbereich. Daß wir gleichzeitig Geld von der Stadt fordern, paßt ihnen natürlich nicht in dieses Konzept.
Ein anderer Aufhänger für die Kritik war, daß ihr mit dem Umbau des Gebäudes und Einrichtung eines Angebotes für alle Jugendlichen 'nicht zu Potte kommt'.
Peter: Ja, das war ein Zitat von Brandts in der Presse: wir kommen hier nicht zu Potte. Das meint aber unsere gesamte Arbeit, die nicht so läuft, wie es sich viele erwünscht haben.
Es wurde nicht erwartet, daß ihr aus eurer Theorie eine Praxis macht, auch nur anfänglich. Und dann bekommt der Aufhängerbegriff Autonomie doch noch eine eigene Bedeutung, denn mit dem Wort autonom verbindet sich etwas, das du vorhin mit Kontrollverlust bezeichnet hast und das quer zu politischen Konstellationen, so wichtig diese im Konkreten zu nehmen sind, die Alarmglocken anschlagen läßt. Deshalb würde ich den Begriff autonom doch einmal wörtlich nehmen, insofern nach einiger Zeit kontinuierlicher Arbeit sichtbar wurde, daß ihr tatsächlich ein bestimmtes Konzept der Selbstverwaltung, der Autonomie, eines Raumes, der nicht kontrollierbar ist und es nie sein wird, in die Tat umsetzt.
Peter: Es ist ja so, daß viele Menschen dieses Wort 'autonom' mit einer bestimmten Menschengruppe verbinden, eben mit 'den Autonomen'. Und das sind dann Leute, die rennen immer mit Haßkappe durch die Gegend, haben immer einen Molly bei sich und greifen sämtliche staatliche Institutionen mit Gewalt an. Das ist die große Angst, die dahinter steht. Aber das war wiederum für uns mit ein Grund dazu, das Wort autonom ruhig auch zu benutzen: um gegen diese Vorstellung quer zu schlagen und zu zeigen, daß es völlig falsch besetzt ist. Ein Autonomieabkommen in Israel wird ganz anders bewertet als ein autonomes Jugendkulturzentrum.
Dort soll ja auch ein neuer Staat entstehen, und Israel gibt tatsächlich Macht über diese Regionen ab. Hier geht es nicht um einen neuen Staat, aber es entsteht ein Loch im bestehenden. Ihr rennt ja nicht mit Haßkappe herum, im Gegenteil, ihr habt auch keine Mollys hier rumliegen. Aber meine Vermutung ist, daß Autonomie auch ohne die Programmatik eines Kampfes nach außen, gegen den Staat, gefährlich ist. Die Wirkung geht erst mal nur nach innen, aber indirekt entsteht so eine Gefährdung des Äußeren. Überforme ich mit solcher Überlegung eure Situation, die vielleicht tatsächlich ein rein parteipolitisch zu erklärender Konflikt ist?
Peter: Ich denke, daß etwas dieser Art tatsächlich hinter dem Konflikt steht. Für Leute wie Heiko Hendriks oder generell die Junge Union ist es eine ganz klare Sache, daß wir ein politischer Gegner sind, den es grundsätzlich zu bekämpfen gilt.
Aber dies, obwohl ihr nicht die Abschaffung des bestehenden Staates fordert und nicht einmal die von Heiko Hendriks.
Wiebke: Doch. Es ist ja bekannt, daß sich bei uns viele Leute engagieren, die diesen Staat so nicht wollen oder auch gar keinen Staat. Aber als Zentrum verhalten wir uns völlig offen, wir führen keine Meinungskontrollen durch bei den Gruppen, die sich hier treffen wollen. Es ist ja offensichtlich, daß hier andere Meinungen vorherrschen als an anderen Orten in Mülheim, aber das ist nicht unsere Hauptbeschäftigung und nicht die Aufgabe des Zentrums. Was wir hier machen, ist Jugend- und Kulturarbeit. Die Vermutung einer anderen vorherrschenden politischen Meinung besteht also zurecht, wenn es auch im Konkreten total überzeichnet wird, aber ich weiß nicht, ob die Situation eine andere wäre, wenn es hier keine politischen Gruppen gäbe. Ich denke, es würde trotzdem Probleme geben.
Apropos: Wie seht ihr eure Zukunft? Die Ratsentscheidung gilt ja erst mal nur für ein Jahr.
Wiebke: Ich glaube, daß die jetzt Unterlegenen es Ende des Jahres wieder versuchen werden, das Zentrum plattzumachen, und ich glaube auch, daß sie das ganz konkret vorbereiten. Es gab neulich ein Krisengespräch mit IBA-Vertretern, Leuten aus dem Landesministerium und der Stadt Mülheim, und dort haben die Vertreter von IBA und Land noch mal ganz klar gesagt, daß die hier investierten Gelder an unser Konzept und an eine weitere städtische Förderung geknüpft sind. Diese Gemeinsamkeit mit den Städten und langfristige Zukunftsplanung ist das generelle Prinzip jedes IBA-Engagements, und wenn die Stadt sich von dieser Abmachung verabschiedet, muß sie die erhaltenen Landesgelder zurückzahlen. Die CDU hat aber sofort angemerkt, daß diese Argumentation juristisch anfechtbar sei. Und sicher werden sie auch irgendwelche Gründe bei uns suchen, um das AZ dichtzumachen. Aber dann haben wir immer noch das Gebäude, und das können sie uns nicht so leicht wegnehmen. Ich weiß nicht, wie die sich das vorstellen: daß wir hier einfach so rausgehen? Dazu wären wohl die Wenigsten bereit.
Peter: Wir haben uns beim letzten Konflikt auf eine klare gemeinsame Linie geeinigt, die auch in neuen Situationen gelten wird. Wir werden erstens die Politik darauf hinweisen, daß die 90% Landesförderung für den Umbau an eine langfristige Förderung unseres Projekts gebunden war und die Stadt diese Zusage nicht einfach zurücknehmen kann, ohne dieses Geld zurückzuzahlen - also 2,25 Mio DM für die jährliche Einsparung von 180000 DM. Zweitens werden wir den riesigen Anteil an Eigenleistung, den wir in unserer Freizeit in den Umbau gesteckt haben und ohne den dieser nicht im gegebenen Finanzrahmen möglich gewesen wäre, geltend machen. Auch diese Beteiligung an der Restauration eines Gebäudes, das der Stadt Mülheim gehört, war Teil des gesamten Abkommens.
Der dritte Punkt ist das, was Wiebke eben gesagt hat: die Mehrheit im Rat der Stadt kann uns zwar, mit der Gefahr großer politischer und juristischer Schwierigkeiten, sämtliche Zuschüsse kürzen, aber ob sie damit ihr eigentliches Ziel erreichen, daß hier keine Jugendkulturarbeit mehr stattfindet, das ist nicht nur fragwürdig, sondern das wird nicht der Fall sein. Denn das Ganze hat noch einen anderen Aspekt, der sich beim letzten Kampf gezeigt hat. Wenn für die Leute, die hier arbeiten oder auch nur mitbekommen, was an diesem Ort passiert, völlig unverständlich auf uns losgefeuert wird, schweißt so etwas natürlich auch zusammen. Interne Konflikte werden dann erst mal zur Seite gepackt. Ich glaube, CDU und FDP haben nicht damit gerechnet, daß wir so viel Solidarität erfahren würden. Sie haben wahrscheinlich gedacht, daß sie mit uns leichteres Spiel hätten.
Wiebke: In Nürnberg beim Komm haben sie 25 Jahre gebraucht, um das platt zu machen.
Mit Wiebke Jaax, Peter Possekel und Sabrina Strehl sprachen Maria Mausbach und Stefan Schroer im September 2000 im AZ-Mülheim.